Linientragwerke
1. Definition
Linientragwerke umfassen jegliche Bauwerke mit einem eindimensionalen Lastabtrag. Ihre Länge im Verhältnis zu den Querschnittsabmessungen ist deutlich größer.
Im Wesentlichen wird bei Linientragwerken zwischen Seilen, Stäben und Balken unterschieden. Seile sind biegeschlaffe Strukturen und können nur Zugkräfte aufnehmen. Stäbe werden nach ihrer Haupttragwirkung in Zug- und Druckstäbe unterteilt. Balken nehmen Kräfte in ihrer Querrichtung sowie Biegemomente auf. Durch Kombination mehrerer Linienelemente können je nach Verbindungsart Rahmen- oder Fachwerksysteme gebildet werden.
An einer Hängebrücke sind unterschiedliche Linientragwerkselemente anzutreffen.
Hängebrücken bestehen aus schlaffen und starren Strukturen. Die Lasten aus der Fahrbahn werden von den senkrechten Stahlseilen bzw. Zugstäben aufgenommen und in die Seile zwischen den Pfeilern eingeleitet. Diese geben die Lasten wiederum in die Stützen weiter, welche als Druckstäbe wirken und die anfallenden Lasten in das Fundament abführen.
2. Zug- und Druckstäbe
Definition und Tragverhalten
Als Druck- und Zugstäbe werden linienförmige Tragwerkselemente bezeichnet, die durch zentrische Kräfte in ihrer Längsrichtung belastet werden.
Bei zentrisch belasteten Stäben wird eine gleichmäßige Verteilung der Spannung über den Querschnitt angenommen. Diese kann als Zugnormalkraft auftreten, die eine Dehnung des Bauteils erzeugt. Demgegenüber bewirkt eine Drucknormalkraft eine Stauchung des Elements.
Bei schlanken Bauteilen kann es durch die Druckkraft neben der Stauchung allerdings auch zum Knicken des Stabes kommen. Leonhard Euler beschrieb als Erster diese Knickfiguren, die sogenannten Eulerfälle. Um die Knicklast zu bestimmen, müssen der E-Modul des Baustoffes, die Querschnittsform und der von der Lagerung abhängige Knicklängenfaktor bekannt sein.
In der Regel wirken wegen ausmittig angreifenden Lasten oder wegen immer vorhandener Imperfektionen neben Druckkräften auch Biegekräfte auf die Stäbe.
Anwendungsbeispiel
Für Stäbe gibt es viele Anwendungsmöglichkeiten. Zugstäbe befinden sich beispielsweise im Tragwerk des Aachener Tivoli.
Stützen wirken als Druckstäbe. Sie nehmen z. B. die Lasten aus einer Geschossdecke auf und leiten sie weiter in den Untergrund.
3. Seile
Definition und Tragverhalten
Seile sind Linientragwerke, die im Gegensatz zu einem Stab nur Zugkräfte aufnehmen können. Diese werden dann in die Auflager oder Verbindungen zu anderen Tragwerkselementen weitergeleitet. Die Zugspannungen sind gleichmäßig über den Querschnitt verteilt und verursachen eine Längung des Seiles. Spannt man Seile vor, so ist es auch möglich über den Abbau der Vorspannung Druckkräfte aufzunehmen.
Wird ein Seil längs zur Spannrichtung belastet, so hat das Seil einen Durchhang. Je nachdem, wo die Last(en) angreifen, entstehen der Laststellung angepasste Seilkurven.
Wird das Seil mittig beansprucht, tragen beide Auflager die hälftige vertikale Last. Die Horizontallasten ergeben sich über Gleichgewichtsbeziehungen und sind umgekehrt proportional zum Durchhang des Seils.
4. Bögen
Definition und Tragverhalten
Der Bogen leitet die angreifenden Lasten über Druckkräfte weiter in die Auflager, die auch als Kämpfer bezeichnet werden. Die Höhe eines Bogens wird Bogenstich genannt. Der idealen Bogen, auch Stützlinie, leitet sich aus der Umkehrung der Seilkurve ab, die ein Seil unter der gleichen Belastung annehmen würde. Im Gegensatz zum Seil, das die angreifenden Lasten nur über Zug abträgt, leitet die Stützlinie die angreifenden Lasten über Druckkräfte weiter.
Bögen können größere Spannweiten als Balken überbrücken. Da unterschiedliche Laststellungen und Lastkombinationen Beanspruchungen, die von der Stützlinie abweichen erzeugen, treten nicht nur reine Druckkräfte auf. Es müssen auch Biegebeanspruchungen aufgenommen werden können. Dies geschieht über die Breite des Querschnitts.
Im Laufe der Zeit entwickelten sich unterschiedliche Bogenarten. Neben dem einfachen Halbkreisbogen gibt es noch viele weitere Formen, die aber eher optische als statische Vorteile haben.
Da Bögen weitestgehend auf Druck belastet sind, werden Materialien mit hoher Druckfestigkeit verwendet. Um der Knickgefahr bei schlanken Bögen entgegenzuwirken, werden geeignete Querschnittsformen mit einem großen Trägheitsmoment (bspw. Rohre) oder Verbände gewählt.
5. Balken und Träger
Definition und Tragvergalten
Ein Balken ist ein linienförmiges Element. Durch die Belastung quer zur lastabtragenden Achse wird der Träger auf Biegung beansprucht.
Trägerformen
Einfeldträger
Ein Einfeldträger ist ein Balken auf zwei Lagern.
Einfeldträger mit Kragarm
Bei diesem System ist an den Einfeldträger noch ein Kragarm angeschlossen. Bei Belastung auf dem Kragarm entsteht ein Stützmoment, welches das Moment im Feld (d.h. zwischen den gelenkigen Auflagern) reduziert.
Eingespannter Träger
Einfeldträger können neben den gelenkigen Auflagern auch einseitig oder beidseitig eingespannt sein. An den Einspannungen entstehen negative Momente, die das Feldmoment reduzieren.
Kragträger
Kragträger, oder auch Freiträger, sind Elemente, die an einem Ende eingespannt und an dem anderen Ende frei sind. Durch diesen Aufbau werden die eingespannten Bauteile sehr stark beansprucht. Die Einspannmomente steigen mit zunehmender Kragweite an.
Durchlaufträger
Werden mehrere Einfeldträger biegesteif miteinander verbunden, spricht man von Durchlaufträgern. Durch die biegesteife Einspannung zwischen den Feldern entstehen Stützmomente. Die Feldmomente von Durchlaufträgern sind aufgrund der durch die Stützmomente vorhandenen Durchlaufwirkung kleiner als bei Einfeldträgern.
Gerberträger
Eine weitere Trägerform ist der Gerberträger. Hier wird ein statisch unbestimmter Durchlaufträger durch Einbau eines sogenannten Gerbergelenks zu einem statischen bestimmten System. Der Gerberträger setzt sich dann aus Hauptträger und Schleppträger zusammen.
Anwendungsbeispiel
Das einfachste Beispiel für einen Balken ist eine Brücke aus einem Baumstamm. Dieser bildet einen Einfeldträger. Das größte Moment tritt bei gleichmäßiger Belastung in Feldmitte auf. Am unteren Rand sind entsprechend Zug- und am oberen Rand Druckkräfte.
Unterspannung, Sprengwerk, Hängewerk
Ein Balken kann durch den Einsatz eines Seiles und eines Druckstabes unterspannt und damit verstärkt werden. Dreht man dieses System um und benutzt statt des Seils Druckstäbe und statt des einzelnen Druckstabes eine Zugstrebe, so erhält man ein Hängewerk. Mit diesen beiden Systemen kann die Tragfähigkeit eines Trägers ohne Veränderung seines Querschnittes erhöht werden.
Der unterspannte Träger und auch das Hängewerk wirken wie Durchlaufträger mit elastischen Zwischenlagern, wobei die Stützmomente geringer sind als die eines vergleichbaren Durchlaufträgers.
Das Hängewerk und der unterspannte Balken können auch als sogenannte Sprengwerke ausgeführt werden. Hierbei werden die Systeme durch schräge Druckstreben unterstützt, welche biegesteif angeschlossen sind und die Kräfte in den Untergrund ableiten.
6. Fachwerk
Definition und Tragverhalten
Als Fachwerk wird eine Zusammensetzung mehrerer Druck- und Zugstäbe bezeichnet. Es wird angenommen, dass alle Stäbe in den Knoten gelenkig miteinander verbunden sind, die Stabachsen geradlinig verlaufen und die Lasten in den Knoten angreifen, bzw. auf diese aufgeteilt werden können. In dem System gibt es somit keine Momente und die Stäbe werden nur auf Zug oder Druck beansprucht.
Zur Schnittgrößenermittlung der inneren Kräfte werden die Knoten freigeschnitten und einzeln betrachtet. Alle Knotenkräfte müssen miteinander im Gleichgewicht stehen. Um vorher zu ermitteln, ob das System statisch bestimmt oder unbestimmt ist, wird das Abzählkriterium herangezogen. Hierfür werden die Anzahl der Stäbe s, die Knotenanzahl k und die Auflagerreaktionen a eines Systems gezählt. Es gilt:
- statisch bestimmt: s = 2×k-a
- statisch unbestimmt: s > 2×k-a
- kinematisch: s < 2×k-a
Anwendungsbeispiele
Fachwerke sind oft in alten Stahlkonstruktionen (Eiffelturm, Fachwerkbrücken …) zu finden, zum Beispiel auch beim Viadukt von Moresnet.
7. Rahmen
Definition und Tragverhalten
Werden Träger und Stützen biegesteif miteinander verbunden, spricht man von einem Rahmen. Der Träger wird als Riegel und die Stützen als Stiele bezeichnet. Rahmen werden sehr oft im Hallenbau verwendet. Da es sich um statisch unbestimmte Systeme handelt, sind die Verformungen geringer und Tragreserven im System vorhanden. Aufgrund der biegesteifen Rahmenecken verhält sich der Riegel oben entsprechend einem an den Enden teilweise eingespannten Träger und kann somit größere Lasten aufnehmen als ein Einfeldträger. Die Stiele erfahren dadurch jedoch nicht nur eine Druck-, sondern auch eine Biegebeanspruchung.
Der Schnittgrößenverlauf, die Formänderungen, die Stabilität sowie das Schwingverhalten hängen vor allem von vier Faktoren ab. Neben der Stützung und den einzelnen Gelenkarten haben auch das Längen-Verhältnis zwischen Stielen und Riegel sowie die Steifigkeit der Querschnitte einen großen Einfluss. Die Steifigkeit des Querschnitts wird vom Material und der Geometrie beeinflusst.